Stuttgart, Club Cann. Faschingssamstag. Während draußen die Welt in Glitzer und Blödelei ertrank, versammelte sich drinnen eine Gemeinschaft, die anderes sucht. Nachtblut kamen. Und sie kamen nicht zum Feiern – sie kamen zum Erzählen.
Kein Platz für Masken – außer die echten
Man muss es den Osnabrückern lassen: Nachtblut haben sich nie anbiedern müssen. Seit zwanzig Jahren stehen sie für eine Form von musikalischer Gegenöffentlichkeit – düster, direkt, aber nie dumpf. Auch an diesem Abend, dem ersten ihrer „Todschick“-Tour, wirkt nichts aufgesetzt. Kein Theater. Nur Inszenierung mit Substanz.
Und der Club? Voll. Nicht ausverkauft im PR-Sprech, sondern wirklich voll. Ein Club, der sonst eher als dunkles Wohnzimmer durchgeht, wurde an diesem Abend zur Kammer der Wahrheiten. Und ja – vielleicht hätte es der größere Wizemann auch getan. Aber hätte er auch diese Nähe erzeugt? Diese Verdichtung? Diese Spannung, die zwischen Lautsprecher und Schulter vibriert?
Das Leben der Anderen – und unser eigenes mittendrin
Der Moment kam zur Hälfte des Sets. „Das Leben der Anderen“. Kein Reißer, keine Effekthascherei. Sondern: eine bittere Beobachtung in Moll. Ein Lied über den Blick nach draußen – auf Profile, Fassaden, digitale Lebensentwürfe. Ein Song wie ein stiller Schrei gegen das permanente Vergleichen.
Und während Sänger Askeroth jede Zeile mit fast sachlicher Präzision ins Mikrofon spricht, liegt im Club ein kollektives Nicken. Man kennt das Gefühl. Man kennt die Unzufriedenheit, die entsteht, wenn das Leben der anderen immer besser aussieht als das eigene.
„Das Leben der Anderen“ ist kein Fan-Favorit. Es ist ein Spiegel. Und wer genau hinsieht, erkennt sich selbst darin – ob er will oder nicht.
Wenn Schatten strahlen dürfen
Worüber man selten spricht bei Konzerten dieser Art: das Licht. Doch hier muss man. Denn was Nachtblut da inszenieren, ist präzise wie ein Theaterstück. Keine Lichtflut, keine Dauerblende. Sondern: gezielte Spots, hart gesetzte Farben, perfekt getimtes Strobo – mal wie Blitze in einer Schlacht, mal wie das Flackern eines kaputten Traums.
Das Licht schafft Räume, wo die Bühne keine hat. Es rahmt Gesichter, unterstreicht Gesten. Es sagt, ohne zu schreien. Und genau das macht dieses Konzert zu mehr als nur einem dunklen Rockabend. Es macht es zu Kunst.
Sagenbringer und das Lied der Zeit
Den Auftakt gestalteten Sagenbringer – eine Band, die nicht spielt, sondern erzählt. Aus dem hohen Norden, irgendwo zwischen Runenstein und Verstärker, weben sie aus Lesung, Sound und Symbolik eine Geschichte. Es ist kein Vorprogramm im klassischen Sinn. Eher ein Prolog. Und ein starkes noch dazu.
Fazit:
Am Ende des Abends ist man nicht euphorisch. Man ist ruhig. Wach. Nachtblut haben nicht unterhalten, sie haben etwas ausgelöst. Und während draußen noch immer Konfetti regnet, verlässt man den Club mit dem Gefühl, dass Echtheit manchmal genau dort beginnt, wo der Fasching aufhört.
NACHTBLUT
SAGENBRINGER
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