Am 17. Januar 2025 hauen Alarmsignal ihr neuntes Studioalbum Insomnia raus – und das Ganze über Aggressive Punk Produktionen. Es wird laut, es wird wild und es wird definitiv nicht langweilig. Klar, dass wir da mehr wissen wollten! Also haben wir uns Sänger und Frontmann Steff sowie Gitarrist Bulli geschnappt, um mehr über das neue Werk, die spannenden Features und die Geschichten hinter den Tracks zu erfahren.
Ich lege direkt los. Auf eurem neuen Album Insomnia fällt eine Sache ganz besonders auf. Die Fülle an interessanten Features. Und besonders ist mir Sarah Lesch aufgefallen. Wie kamt ihr auf Sarah Lesch für den Song Kein Vaterland? Das kommt unerwartet. Aber ich liebe es. Sie ist großartig.
Steff: Wir überlegen immer mal, mit wem wir interessante Features machen könnten. In der Punkwelt ist es oft ein bisschen vorhersehbar, wenn du einfach einen anderen Punkmusiker als Feature hast. Deshalb haben wir diesmal gesagt: „Lass uns mal außerhalb der gewohnten Blase schauen.“ Und so sind wir auf Sarah gekommen. Sarah war mal bei einem unserer Konzerte, und wir sind uns dort zufällig begegnet.
Da haben wir das Thema angesprochen und ihr gesagt, dass wir schon länger darüber nachgedacht hatten, mal etwas zusammen zu machen. Sie war sofort begeistert von der Idee. Als wir dann an unserem Album gearbeitet haben, haben wir überlegt, welches Lied für sie passen könnte. Wir hatten da ursprünglich eine andere Idee, aber Sarah wollte dann genau das Stück singen. Das hatten wir so auch nicht erwartet, aber wir finden es gut.
Du sagst, dass Kollaborationen oft vorhersehbar sind – das finde ich spannend, weil ich dir da recht gebe. Glaubt ihr, das liegt auch am familiären Gefühl, das jedes Genre prägt? Wie empfindet ihr das im Punk? Ist das Punk-Genre auch von dieser familiären Atmosphäre geprägt?
Bulli: Also mit den Leuten, mit denen wir zusammenarbeiten, ja. Ansonsten würden wir mit ihnen auch nicht so eng zusammenarbeiten. Und wir haben das Gefühl, dass Musik wirklich verbindet. Wir haben durch die Konzerte und die Szene viele Menschen kennengelernt, mit denen wir mittlerweile gute Freundschaften pflegen. Es gibt natürlich auch Leute, die nicht zu uns passen, aber die „Familie“, die wir in der Szene haben, ist wirklich stark. Man macht sich ja seine eigene Familie.
Musik verbindet, das ist klar. Aber wie geht ihr bei der Auswahl von Features vor? Gibt es spezielle Kriterien, auf die ihr achtet?
Steff: Für uns ist es vor allem wichtig, dass es menschlich passt. Wir suchen niemanden aus, nur weil er eine riesige Reichweite hat, von der wir profitieren könnten. Es geht nie um Berechnung. Es muss stimmen, und wir müssen auf derselben Wellenlänge sein.
Da stellt sich natürlich die Frage, ob man Musik überhaupt mit Menschen machen kann, mit denen es nicht wirklich „flowt“?
Bulli: Ich nicht. So ein Album bleibt für immer. Und Steff schreibt auch Texte, die sehr persönlich sind. Da muss man sich sicher fühlen, wenn man solche Gedanken mit anderen teilt. Es geht nicht nur darum, einen Song zu haben, sondern darum, seine Gefühle in die Musik zu legen. Man muss sich sicher sein, dass man ehrlich miteinander umgeht und sich gegenseitig schätzt. Und wenn du mit schlechten Gefühlen an die Sache gehst, funktioniert es langfristig einfach nicht. Wir wollen etwas schaffen, auf das wir auch in 20 Jahren noch stolz sind, etwas, was relevant ist und sich auch dann noch richtig anfühlt.
Du sprichst von Relevanz. Da fällt mir ein Zitat von Andy Brings (ehemals Sodom) ein, der sagte, dass nicht die Musiker, sondern die Fans entscheiden, was Kultur und Kult wird. Seht ihr das anders?
Steff: Also, in erster Linie schreiben wir Musik für uns. Beim Songwriting denke ich nicht daran, ob es Kult wird. Für mich ist Musik machen eher eine Art Druck-Ventil-Ablass. Und weil du die Frage nach der Harmonie bei den Features gestellt hast: Neulich habe ich tatsächlich in einem Interview von einer Band gehört, die überhaupt nicht miteinander spricht. Sie haben zwei verschiedene Manager und kommunizieren nur über diese. Das würde bei uns gar nicht funktionieren. Für mich wäre das ebenfalls undenkbar.
Und das ist eine sehr ehrliche Antwort. Ich wollte nämlich auch noch das Feature mit Mel Marker von Shirley Holmes ansprechen. Steff, du hast erwähnt, dass dieses Feature genau so sein musste. Du hast schon angerissen, warum es dir so wichtig war, aber du kannst gerne so richtig ausholen.
Steff: Es war mir dabei wichtig, jemanden an meiner Seite zu haben, der mich wirklich versteht. Mel gehört zu meinen besten und engsten Freunden. Dieses Lied konnte und kann ich einfach nicht mit jeder Person singen. Wir wollen bei dem, was wir machen, immer authentisch bleiben, und es wäre nicht authentisch gewesen, wenn ich ein Lied über Freundschaft mit irgendjemandem gesungen hätte.
Bulli: Und ich denke, da kann man dann auch den Bogen zu der Frage von vorhin spannen. Was die Hörer in Songs und Texte hineininterpretieren, welche Gefühle und Gedanken sie dabei haben und welche Bedeutung sie dem beimessen, darauf haben wir als Musiker keinen Einfluss mehr. Aber genau deswegen ist es so wichtig, dass wir den Prozess, den wir beeinflussen können, so gestalten, dass wir uns dabei wohlfühlen.
Also ist die Band für euch ein Safe Place?
Steff: Tatsächlich ja. Es ist auch so, dass wenn ich manche Texte schreibe, dann ist das zwar in erster Linie für mich, aber der Rest der Band muss am Ende auch damit einverstanden sein, es nachempfinden können und es auch verstehen. Das ist kein Alleingang. Diesen Anspruch habe ich dann schon. Also bandintern sollte es verstanden und gefühlt werden. Gerade auch, weil wir durchaus auch Texte haben, mit denen man sich angreifbar macht. Da ist es für mich wichtig, dass ich Menschen an meiner Seite habe, die hinter mir stehen und mich unterstützen und mir den Rücken stärken.
Wenn dann also Kritik kommt, bist du nicht alleine der, der die Kugeln abkriegt?
Steff: Genau das. Da sind noch Menschen bei mir, die sich ebenfalls diesem Gewitter stellen, und auf die kann ich mich verlassen. Ich schreibe zum Beispiel jetzt auch an einem Buch, und ich weiß, wenn da Kritik kommt, betrifft es nur mich. Aber in der Band sind wir wie eine kleine Armee mit vier Leuten, die zusammenhalten.
Okay, Bulli, jetzt wünsche ich mir eine ganz ehrliche Antwort von dir: Wie viel Kritik gibt es, wenn Steff mit einem Text ankommt?
Bulli: Nicht so viel. Manchmal ändern wir einzelne Worte, aber ich glaube, wir haben so einen freundschaftlichen Grundkonsens und sind da sehr auf einer Linie, sodass da wenig Kritik kommt.
Eine Frage, die ich mir stets stelle: Wenn man als Künstler so viel von sich und seinem Leben preisgibt, auch so tiefe Einblicke in das Seelenleben gewährt, macht man sich ja schon auch angreifbar. Das Risiko muss man ja eingehen, oder?
Steff: Man muss natürlich auch sagen, dass sowas nicht über Nacht passiert. Das geschieht mit der Zeit. Das ist Teil der persönlichen Entwicklung. Man wächst da rein. Bei mir war es ja auch nicht so, dass ich angefangen habe, Texte zu schreiben und ließ sofort die Hosen runter. Das fing nach dem Tod meiner Mutter an, dass ich anfing, auch mal tiefer zu gehen, einfach um mir selbst Dinge von der Seele zu schreiben. Und da hab ich gemerkt, dass mir das guttut, und dann bleibt man dabei.
In diesem Zusammenhang würde ich gerne auch noch auf zwei Songs vom Album zu sprechen kommen. Wir haben jetzt Sarah Lesch und Mel Marker erwähnt als Features. Da sind aber noch Beckx von Fucking Angry dabei sowie Chris von Kotzreiz und dann auch noch Sebastian Madsen bei Rest Your Eyes. Dieser Song entstand nach einer wahren Begebenheit, oder?
Steff: Ja, das geht auf eine Geschichte über einen Jungen aus Syrien zurück, der stark seheingeschränkt war und mitten im Bürgerkrieg groß geworden ist. Und sein Vater hat dann gesagt, dass es so nicht weitergehen kann und er hatte aber die Mittel nicht, um mit allen zu fliehen. Also hat er sein letztes Geld zusammengekratzt für seine beiden Kinder, in der Hoffnung, ihnen eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Und dann hat er seine beiden Kinder auf die Reise geschickt und aufgrund seiner Seheinschränkung gab es auf der Reise immer wieder Phasen, in denen seine Schwester ihm Mut zugesprochen hat, mit dem Satz auf Arabisch: „You will be safe, safe your eyes.“ Das ist die Geschichte dahinter.
Das ist eine sehr berührende Geschichte. Und ich würde zum Abschluss auch noch auf den letzten Song des Albums eingehen wollen. Der Song Johanna ist mir aus drei Gründen aufgefallen. Zunächst mal unterscheidet er sich sehr von den anderen Songs des Albums, weil er ein ruhiger Song ist. Außerdem ist es der letzte Song und er hallt dadurch noch mehr nach. Und drittens, weil er auch sehr bewegend ist und eben auf eine wahre Geschichte zurückzuführen ist. Wollt ihr dazu noch etwas sagen?
Bulli: Also Johanna gab es wirklich. So hieß die Oma von Steff. Und alles, was in diesem Song stattfindet, hat sie gesehen und Steff erzählt. Es gab diese Veranda und dieses Feld, das gab es alles wirklich. Das ist eine Geschichte, die sich im Zweiten Weltkrieg abspielt, und wie das Ende der Platte aussagt, stehen wir heute erneut vor einer Situation, die einem Angst einjagt.
Vielen Dank für diese persönlichen Einblicke.
Mehr Infos zur Band Alarmsignal findet ihr in den Socials:
- The City Is Ours – Will You Still Love Me? - Januar 13, 2025
- Alarmsignal: Geschichten, die wach halten! - Januar 13, 2025
- Paleface Swiss: Kreative Prozesse und mentale Gesundheit - Januar 8, 2025