Im Frankfurter Nachtleben wurde es am 26. September 2025 laut, intensiv und gleichzeitig überraschend facettenreich: Mit Chaosbay, SENNA und Leyka standen gleich drei Acts auf der Bühne, die allesamt bewiesen, wie spannend die junge deutsche Rock- und Metal-Szene derzeit klingt. Zwischen wuchtigen Riffs, emotionalem Gesang und experimentellen Klangwelten verwandelte sich der Club in einen Schmelztiegel aus Energie, Schweiß und musikalischem Grenzgang. Was auf den ersten Blick wie ein reiner Nischenabend wirkte, entpuppte sich als ein Konzert, das Genregrenzen sprengte und das Publikum mitriss.
Leyka: Zwischen Wut, Melodie und Aufbruch
Den Anfang machten Leyka. Der Stil der Mainzer lässt sich am ehesten als „Metalcore mit Herz“ beschreiben. Da treffen Shouts und Growls auf cleanen Gesang und harte Breakdowns auf mehrstimmige Lead-Melodien und atmosphärische Passagen.
Die 2022 gegründete Band besteht aus Tom Herzberg (Shouter), Philipp „Knaule“ Steinert (Bass), Fabrizio Casali (Schlagzeug) und Yves Derckum (Lead-Gitarre). Philippe Serbiné (Gitarre und Clean Vocals) hat die Band jüngst aus persönlichen Gründen verlassen und wird am 12. Dezember 2025 noch ein letztes Mal in Wiesbaden mit seinen Kollegen auf der Bühne stehen. Die Truppe hat sich in wenigen Jahren von einem Geheimtipp zu einer festen Szenegröße gemausert.
Neben den beiden EPs Requiem (2023) und Resurrection (2024) hat die Band eine Reihe von Singles veröffentlicht, zuletzt Missing Piece. Der erste Longplayer kommt in 2026. Leyka veranstalten zudem ihr eigenes Szene-Festival, das Dystopia Festival im „Rind“ in Rüsselsheim, das 2025 bereits in die zweite Runde gegangen ist und ein voller Erfolg war. Im April 2026 ist es wieder soweit.

Thematisch setzten sich Leyka zunächst primär mit persönlichen Konflikten auseinander, wandten sich aber zuletzt mehr gesellschaftlichen Themen zu, wie politischer Frustration und dem Wunsch nach Veränderung. So ist z.B. Coffin Nail eine harsche Kritik an Rechtspopulismus, sozialer Verrohung und Verantwortungsflucht. Der Song attackiert Eliten, die durch Egoismus und Ignoranz den letzten Sargnagel in unser aller Zukunft schlagen. Und auch mit Sea Shepherd- und Regenbogenflaggen auf der Bühne bekennen Leyka Farbe. Im Gespräch vor der Show verriet mir Yves, dass es der Band ein besonderes Anliegen ist, dass ihre Konzerte ein Safe Space sind, wo jeder willkommen ist und sich wohlfühlen soll.
Die Band verschwendete keine Minute ihrer knapp bemessenen Zeit. Mit Sorrow ging es ohne Vorgeplänkel gleich in die Vollen. Trotz der frühen Stunde (es ging bereits um 18:45 Uhr los), füllte sich das Nachtleben erfreulicherweise schnell, als die ersten Töne erklangen. Und auch der erste Circle Pit ließ dann nicht mehr lange auf sich warten. Weiter ging es mit Prisoners, gefolgt von den beiden neuen Singles Missing Piece und dem oben bereits angesprochenen Coffin Nail. Nach Affliction spielten die Jungs auch eine bislang unveröffentlichte Nummer namens The Shelter, die in Kürze auf den Streamingdiensten zu finden sein wird, und auch 27 durfte nicht fehlen.
Die Performance der Mainzer war brachial. Shouter Tom war am Anschlag und ließ mit weit aufgerissenen Augen den Blick durch die Menge schweifen, während er sich den Frust aus der Seele brüllte. Knaule am Bass war ständig in Bewegung, tanzte wie ein Derwisch über die Bühne und war fotografisch fast nicht einzufangen. Das Fundament legte Fabri an den Drums. Er freute sich sichtlich, für Chaosbay zu eröffnen und später am Abend Patrick von Chaosbay bei der Arbeit zuzusehen.
Vom Studioprojekt zur etablierten Band: SENNA
Etwas ruhigere Töne schlugen danach SENNA an. Die Mannheimer Band hat sich in den vergangenen Jahren als eine der spannendsten jungen Stimmen in der deutschen Modern-Metal- und Post-Hardcore-Szene etabliert. Ihr Sound verbindet wuchtige Gitarrenriffs und harte Breakdowns mit eingängigen Melodien und atmosphärischen Elementen. Dabei sind Einflüsse von Bands wie Bring Me The Horizon, Don Broco oder Dance Gavin Dance zu erkennen, die SENNA jedoch mit einer ganz eigenen Note interpretieren.
Und auch verspielte Licks im Stile von Tim Henson (Polyphia) sind auszumachen. Das ergibt eine vielschichtige Mischung, die eine große Zahl von Musikfreunden ansprechen dürfte: Wer es proggig mag, für den gibt es beim genaueren Hinhören richtig viel zu entdecken. Und wer einfach nur gefällige und handwerklich gut gemachte Musik sucht, zu der man sogar tanzen kann, wird hier ebenso fündig.
Ihre 2022 erschienene Debüt-EP A Moment of Quiet, die über Sharptone Records veröffentlicht wurde und Songs wie Rosehip und Lavender enthält, fand auch international Beachtung. Mit diesen Stücken zeigte die Band bereits eindrucksvoll, wie sie Härte und Emotionalität in Einklang bringt und dabei sowohl Freunde moderner Metal-Sounds als auch Fans melodisch geprägter Rockmusik anspricht.
Am 23. Mai 2025 veröffentlichte die Band mit Stranger To Love nun ihr erstes Album. Der Titel verrät schon einiges über die thematische Ausrichtung. Es geht weniger um epische Geschichten, sondern mehr um Alltägliches: Beziehungen, Veränderung, Einsamkeit und kleine Momente, die oft übersehen werden, aber in ihrer Intensität kaum weniger bedeutend sind. Das, worüber SENNA singen, könnte praktisch jeder so oder so ähnlich erlebt haben, und das macht die Songs fühlbar. Auch live haben sich SENNA einen Namen gemacht. Touren als Support für Acts wie Siamese und Resolve haben die Mannheimer einem größeren Publikum nähergebracht.

Sänger Simon hat nach der Geburt seiner Tochter vor wenigen Wochen seinen Ausstieg aus der Band bekannt gegeben. Tatsächlich war diese Show in Frankfurt seine letzte mit SENNA. Die Vocals hat in der Zwischenzeit bereits Gitarrist Marcel übernommen. Das soll keine bloße Übergangslösung sein, sondern Marcel nimmt Gesangsunterricht, um den hohen selbst gesetzten Erwartungen gerecht zu werden.
Er stand auf der bisherigen Tour zunächst nur als Sänger und ohne Gitarre auf der Bühne, um in die neue Aufgabe hineinzuwachsen. Mittelfristig ist aber angedacht, dass er auch wieder die Gitarre in die Hand nimmt. Neben Marcel sind die weiteren festen Mitglieder damit derzeit Fabi am Bass und Viktor an den Drums. Ob und wie sich die Band in Zukunft verstärken wird, ist noch ungewiss.
Da dieser Abend Simons Abschied war, überließ Marcel ihm die Bühne und das Rampenlicht. Es war Simon anzumerken, dass dies kein leichter Abschied ist. Er liebt die Musik und hat mir im Gespräch versichert, dass auch in Zukunft von ihm zu hören sein wird. Aber jedes Jahr zwei Monate oder mehr zu touren, ist mit seinem Job und seiner Familie nicht zu vereinbaren. Doch hier und heute ließ er sich noch einmal ganz auf die Musik ein, sang und shoutete, was seine einzigartige Stimme hergab, und suchte den Kontakt zum Publikum.
Das sensationelle Cliffhanger als Opener war der perfekte Eisbrecher. Weiter ging es mit Breeze, Potential und Bodyguard, die sich ebenso auf dem aktuellen Album finden, wie die nachfolgenden Songs Blackout, Hurricane, High Note und Drunk Dial Anthem. Als einziger älterer Song markierte Rosehip den Abschluss eines gelungenen und emotionalen Sets. Der Sound war gut und die Performance überzeugend. Man darf gespannt sein, wohin die Reise für diese bemerkenswerte Formation geht. Laut Marcel könnte es schon in 2026 ein neues Album geben.
Progressiver Metalcore für Herz und Hirn: Chaosbay
Die Berliner Band Chaosbay gilt als eine der spannendsten Progressive-Metalcore-Formationen Deutschlands. Die Band hat sich von Metal- und Djent-Einflüssen hin zu einem eigenständigen Sound entwickelt, der Härte, technische Raffinesse und eingängige Melodien geschmackvoll miteinander verbindet. Da treffen Chugs, Pinch Harmonics und Growls auf hochkomplexe Rhythmen, äußerst gefälligen Gesang und poppige Refrains. Selbst für ein beherztes „Blegh!“ ist Jan Listing (Gesang, Gitarre), der die Band 2012 ins Leben gerufen hat, sich nicht zu schade. Seine Mittäter bei dieser musikalischen Grenzüberschreitung sind Alexander Langner (Gitarre), Matthias Heising (Bass) und Patrick Bernath (Schlagzeug).
Ihre Alben wie Asylum (2020), 2222 (2022) und zuletzt Are You Afraid? (2024) zeigen eine stetige Weiterentwicklung: von komplexen Konzepten über gesellschaftskritische Texte bis hin zu hoffnungsvollen Zukunftsvisionen. Hier ist nicht alles nur schlecht, sondern es darf durchaus auch einmal von einer besseren Zukunft geträumt werden. Der Konzeptcharakter der Alben zeigt sich dabei sowohl textlich als auch musikalisch, indem Motive vom Anfang des Albums zum Ende hin in abgewandelter Form wieder aufgriffen werden. Ganz wie bei einer guten Erzählung, die mit einer Frage beginnt, auf die der Leser am Ende eine Antwort erhält.
Bei Songs wie Avalon aus dem Album 2222 trägt die Band ihre progressive Ader ganz offen zur Schau: Da wechseln sich 7/8 und 7/4-Takte ab, und in der Strophe demonstriert die Band, wie desorientierend selbst ein handelsüblicher 4/4-Takt klingen kann, wenn man ihn in bester Meshuggah-Manier großzügig in ungleichmäßige kleine Teile seziert. Der Laie staunt, der Fachmann wundert sich.
Trotz der Komplexität bleiben die Songs jedoch stets groovy. Das ist nicht zuletzt Drummer Patrick zu verdanken, der auf dem Crash Cymbal die Viertelnoten vorgibt und so den Headbangern und Fußwippern einen Orientierungspunkt im rhythmischen Dickicht bietet. Wenn sich die Anspannung dann bei Nummern wie Maniac in the Mirror oder Eye for an Eye in einem epischen Refrain entlädt, der zum Mitsingen verpflichtet, ist das wie ein kleiner Orgasmus.

Auch live sind Chaosbay ein Erlebnis: energiegeladen, präzise und emotional. Mit ihrer Mischung aus Härte und Tiefgang haben sie sich einen festen Platz in der modernen deutschen Metal-Szene erarbeitet und gehören zu den Bands, die das Genre mit Mut und Ideenreichtum in die Zukunft tragen. Sie haben schon auf großen deutschen Festivals gespielt (Wacken, Summer Breeze, Open Flair) und als Support für bekanntere Acts wie Emil Bulls, Annisokay und ERRA eingeheizt.
Los ging es diesmal mit Money vom aktuellen Album und der Single Revolution aus dem Jahr 2023, um die Weichen für den Rest des Abends zu stellen. Die Message war klar: Dies ist kein Frontalunterricht, jetzt wird mitgesungen! In der Zwischenzeit hatte sich das Nachtleben bis an die Kapazitätsgrenze von etwa 250 Schaulustigen gefüllt. Es war eng, es war schwitzig und es war sehr geil.
Mit einer kurzen Begrüßung verschaffte Jan dem Publikum eine Verschnaufpause, ehe es mit der aktuellen Single Enemy und dem großartigen What is War weiterging. Auch ein paar Songs von der 2022er EP Boxes standen auf dem Programm, nämlich Y, Willows by the Lake sowie The Prophet, bei dem Schlagzeuglehrer Patrick allen Anwesenden mit einem furiosen Drum Solo eine ordentliche Lektion erteilte.
Wer schon einmal im Nachtleben war weiß, dass es von der Bühne aus gesehen links eine Säule im Raum gibt. Wer hinter der Säule steht, kriegt zumindest visuell nicht viel von der Show mit. Doch auch dafür hatten sich Chaosbay etwas einfallen lassen: es wurde kurzerhand ein Circle Pit rund um die Säule initiiert, und so konnten die Zuschauer nicht nur die Perspektive wechseln, sondern sich gleich noch ein wenig die Füße vertreten.
Auch sonst wurde das Publikum gut unterhalten. Bei den Songs mit nur einer Gitarre nutzte Sänger Jan seine neugewonnene Freiheit voll aus, stieg auf die Riser, stützte sich an der niedrigen Decke ab und lehnte sich weit ins Publikum. Gitarrist Alexander sprang auf seiner Seite der Bühne auf und ab und verrenkte sich wie bei einem Schamanentanz. Und Bassist Matze war außer Rand und Band: er drehte sich blitzschnell im Kreis, hopste auf der Stelle, stach mit dem Bass in Richtung Publikum und tropfte mir seinen Schweiß auf die Frontlinse. Genau so muss eine Club Show sein.
Ungeachtet der sportlichen Aktivitäten kam die musikalische Qualität nicht zu kurz. Der Bass bildete eine Einheit mit den Drums, die so tight war, dass kein Blatt Papier dazwischen passte. Dabei mäanderte Matthias‘ Viersaiter diatonisch durch die Oktaven und trug so durchaus auch zum harmonischen Spielgeschehen bei. Die seltenen Gitarrensoli waren songdienlich, frei von angeberischem Gedudel und zeugten von einem tiefen musikalischen Verständnis. Und auch gesanglich zeigte sich Jan bestens aufgelegt.
Die Stimmung erreichte einen neuen Höhepunkt, als Chaosbay ihre Interpretation des The Police Hits Message in a Bottle von 1979 zum Besten gaben. Weil Alexander eine Saite aus der Führung gerutscht war, musste das nachfolgende Amen vom Album Asylum gleich zweimal angespielt werden. Den Abschluss des rund 80-minütigen Sets machten dann mit Maniac in the Mirror und Bigger than you, zwei Songs vom aktuellen Album.
Chaosbay ist eine Band, die in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Weg zurückgelegt hat: von experimentellen Anfängen über Konzeptalben mit politischen und gesellschaftlichen Inhalten hin zu einem Sound, der Härte und Progressive-Elemente mit Pop-Eingängigkeit verbindet. Live ist die Band technisch beeindruckend, emotional packend und mitreißend direkt. Ihr Spagat zwischen mathematischer Präzision und energiegeladener Bühnenshow macht sie zu einem der spannendsten Live-Acts der deutschen (Progressive-)Metal-Szene.
Chaosbay
Leyka
SENNA
Alle Bilder by: Björn Vollmuth










































